CARTE BLANCHE TONHALLE-ORCHESTER | |
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Zeit |
Freitag 02. Dezember 2022
19:30 – 21:00 |
Venue |
Tonhalle Zürich
Claridenstrasse 7 CH-8002 Zürich |
Genre | Orchestra concert |
Teilnehmende | |
Beschreibung | Geeignet für alle, die gern einen Abend lang sitzen und lauschen. |
Programm | Peter Ruzicka: «FURIOSO» (2019) Peter Ruzicka: «DEPART» (2020) George Enescu: «Isis» (1923) George Enescu: Sinfonie Nr. 4 in e-Moll (1934) (Vervollständigung Pascal Bentoiu) Tonhalle-Orchester Zürich |
Beschreibung | Der Dirigent Peter Ruzicka ist ein Fürsprecher der oft nur skizzenhaft erhaltenen Werke des 1955 verstorbenen George Enescu. In posthum entstandenen Instrumentierungen erweckt er sie hier zu neuem Leben. Auch als Komponist widmet Ruzicka sich in diesem Konzert dem Andenken: «FURIOSO» feiert das Leben des Zürcher Komponisten und Intendanten Rolf Lieberman. Ruzickas neues Konzert für Viola und Orchester erinnert an den durch die Verheerungen des Nationalsozialismus gezeichneten Dichter Paul Celan, der am Tag seines Verschwindens als letzten Eintrag in seinem Kalender vermerkte: «Départ Paul». Produktion: Tonhalle-Orchester Zürich, mit Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung |
Beschreibung | Peter Ruzicka: «FURIOSO» (2019) Ruzicka erinnerte sich an seinen väterlichen Freund Rolf Liebermann, der 1947 ein «Furioso» komponiert hatte – der Kompositionsauftrag aus Grafenegg war schliesslich die willkommene Gelegenheit, den Gedanken umzusetzen. «Furioso», nach Peter Ruzicka durchaus «self explaining», ist charakterisiert durch rasend schnelle Bewegungen in den Streichern und Pauken, das vorgegebene Tempo bezeichnet der Komponist bewusst als «Grenzfall». Heftige Einwürfe in den Bläsern bereichern die Szenerie und bekommen zunehmend turbulenten, sich überstürzenden Charakter. In einem kürzeren, beruhigten Mittelteil erinnert sich Peter Ruzicka an seine letzte Oper «Benjamin» (der Titel bezieht sich auf den Philosophen Walter Benjamin) und sieht eine breite Fächerung der Einzelstimmen in den Streichern vor. Es folgt schliesslich die Wiederaufnahme des anfänglichen Rasens, diesmal angereichert durch neue musikalische Elemente, die das gesamte Klangbild in ein neues Licht tauchen. In einer ekstatischen Verdichtung des Orchestersatzes, besonders der Streicher, mündet «Furioso» in einen fulminanten Schluss. – Peter Ruzicka Peter Ruzicka: «DEPART» (2020) «Départ Paul» schrieb Paul Celan am 19. April 1970 in sein Notizbuch, ehe er mit dem Gang in die Seine seinem Leben ein Ende bereitete. Fünfzig Jahre später entstand mit meinem Bratschenkonzert «DEPART» eine Trauermusik zum Gedenken an diesen grossen Dichter, der wie kein anderer die Wunden des 20. Jahrhunderts zu benennen wusste. Ihm hatte ich bereits eine Reihe anderer Werke gewidmet, darunter die Oper «CELAN», die in meinem neuen Stück ein spätes Parergon erfährt. Die Solobratsche führt durch die Musik von «DEPART», die zwischen rauschhaftem Aufbegehren und verstummender musikalischer Gestalt changiert. Meine Empathie für Celan führt nicht selten zu Momenten des Aufbegehrens, des Ausbruchs - dann aber auch der epischen Zurücknahme ins Dunkle, Unbestimmte, in Stille und Auslöschung. «DEPART» wurde in den Monaten der aufkommenden Corona-Pandemie geschrieben. – Peter Ruzicka George Enescu: «Isis» (1923) Enescus rastlose Kreativität und seine vielfältigen Verpflichtungen brachten es mit sich, dass er eine ganze Reihe bedeutender Kompositionen nur skizzierte, ohne sie vollständig auszuführen. Zu diesen Werken zählen die beiden letzten Sinfonien Nr. 4 und Nr. 5 und auch «Isis» – eine «vokalsinfonische Dichtung», wie sie der rumänische Komponist und Musikwissenschaftler Pascal Bentoiu (*1927) sie nannte. Bentoiu, Autor eines Standardwerks über Enescu, war es auch, der alle drei Werke in eine spielbare Fassung brachte. Und die Komposition «Isis» entdeckte er 1996 überhaupt erst in einem Archiv in Bukarest; von ihrer Existenz wusste man zuvor nichts. Dass Enescu von dem 1923 entstandenen Werk nie öffentlich sprach, könnte vielleicht mit seinem allzu privaten Inhalt zu tun haben. Isis war der Kosename, den der Komponist seiner langjährigen Geliebten und späteren Ehefrau (ab 1939) Maruca Cantacuzini gab. Er hatte die unglücklich verheiratete Adelige 1907 kennen gelernt und ihr noch im gleichen Jahr ein «Nocturne à Isis» gewidmet. Von diesem persönlichen Bezug abgesehen, meint Isis die ägyptische Göttin, die ihren ermordeten Gatten Osiris durch Zauberei wieder auferstehen liess. Sie galt als Göttin der Liebe, der Magie und der Toten, in späterer Zeit auch als Mondgöttin oder als das weibliche Prinzip in der Natur. Enescu konzipierte «Isis» im Juni 1923. Kurz zuvor hatte er die (ebenfalls Maruca gewidmete) Oper «Œdipe» skizziert. Mit einigen Leitmotiven dieses Werks sind die melodischen Ideen des Orchesterstücks eng verwandt. Ähnlich erscheinen auch die harmonischen Strukturen – spannungsvolle chromatische Klänge, die von Wagner ausgehen und bisweilen kaum noch tonal zu deuten sind. Das Werk basiert auf zwei Hauptthemen, die im Grunde nur Facetten ein und derselben Idee darstellen: Beide buchten sich nach einem langen Anfangston bogenförmig aus, das erste Thema nach unten, das zweite, rhythmisch stabilere nach oben. Aus Wechsel, Variation und Zusammenspiel der beiden Themen entwickelt Enescu die ganze Komposition, einschliesslich der Begleitstimmen und Hintergrundklänge. Ein Frauenchor, der nach etwa einem Drittel der Spieldauer (von insgesamt etwa 20 Minuten) hinzutritt, wird als zusätzliche Klangfarbe genutzt; so kann zum Beispiel eine Linie vokal begonnen und instrumental weitergeführt werden. – Volker Tarnow Peter Ruzicka über «Isis»: In «Isis», jenem ebenfalls nur entworfenen und von Pascal Bentoiu nachinstrumentierten sinfonischen Gedicht für Frauenchor und Orchester aus dem Jahre 1923, sind die Vokalstimmen ähnlich Orchesterinstrumenten in das Klanggeschehen eingewoben. Die Vokalisen erscheinen wie Boten einer Himmelsmusik, die Isis, die ägyptische Zaubergöttin, anruft. Die zarte, überwiegend kammermusikalisch geprägte Partitur ist ein Stück der Farben, ganz so, wie es Olivier Messiaen einmal beschrieben hat: «Die Musik der Farben macht das, was die Glasfenster und Rosetten des Mittelalters tun: Sie beschert uns das Überwältigtsein, sie rührt gleichzeitig an unsere edelsten Sinne: das Gehör und das Gesicht. Sie erschüttert unsere Empfindungsfähigkeit, reizt unsere Einbildungskraft, lässt unsere Einsicht wachsen und bringt uns dahin, dass wir unsere Begriffe hinter uns lassen, um dort anzukommen, wo mehr als nur Vernunft und Intuition sind.» George Enescu: Sinfonie Nr. 4 in e-Moll (1934) Enescu komponierte nach den vier Jugendsymphonien fünf nummerierte Symphonien und eine Kammersymphonie. Die 4. Symphonie in e-moll ist vollständig skizziert einschliesslich aller Angaben zur Dynamik, Phrasierung und Artikulation. Enescu hat jedoch nur den Kopfsatz orchestriert sowie 45 Takte (ungefähr zweieinhalb Minuten) des Mittelsatzes. Pascal Bentoiu, seinerseits Komponist und Autor des profunden Buches «The Masterworks of George Enescu», instrumentierte 1996 die Sätze zwei und drei. Enescu verwendet vielfach die alten Kirchentonreihen, und zwar die auf der byzantinischen (nicht auf der westlich-gregorianischen) Tradition fussenden Skalen, und kombiniert sie mit den geläufigen Tonarten des Dur-Moll-Systems. Häufig anzutreffen sind bei ihm Intervalle, die – wie Sekunde, Quarte und Septime – von der klassischen Harmonielehre verteufelt, von rumänischen Volksmusiker:innen aber geliebt wurden. Eine für sein Kompositionsverfahren besonders typische Formel ist die sogenannte Zelle X, bestehend aus einem Halbtonschritt und einer kleinen Terz (oder enharmonisch einer grossen Sekunde); Enescu bedient sich ihrer in allen Phasen seines Schaffens, wobei sich die Gestalt – wie bei Zellen üblich – permanent verändert. Der Kopfsatz «Allegro appassionato» eröffnet im fortissimo mit einer dreiteiligen Motivgruppe: Zuerst spielen Holzbläser und Violinen ein fatalistisch klingendes Motiv, aus ihm entwickelt sich sogleich eine gezackte und doch irgendwie mürrisch anmutende Figur, bevor eine prägnante Endformel, gebildet aus einer Variante der Zelle X, diese Einleitung abrundet. Der zweite Satz «Un poco andante, marziale» gründet sich im Wesentlichen auf Motive des ersten, und die Zelle X wird beinahe zur Obsession. Nach dem «Allegro», das dämonische Mächte anruft, aber resignativ endet, leitet die kleine Trommel zum Andante über. Die Hörner intonieren einen stillen Trauermarsch. Der Grundrhythmus zerfasert allmählich, melancholische Meditationen treten in den Vordergrund, die Klangaura des Kopfsatzes in Erinnerung und vermehrt das Blech zu Hilfe rufend. Am Ende steht, vorwiegend von Streichern formuliert, die Ergebung ins Schicksal. Das ohne Pause anschliessende Finale «Allegro vivace – non troppo» bringt die überraschende Wende. Neue Motive bringt es nicht. Der optimistische, bisweilen übermütige Tonfall wird getragen von hoher orchestraler Virtuosität. Es ist eines der wenigen Stücke des Wahl-Franzosen Enescu, durch die der «Esprit de Paris» zu wehen scheint, wie ihn selbst Jacques Ibert nicht schöner einzufangen verstand. – Volker Tarnow |
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